In der italienischen Sprache gibt es das Eis (ghiaccio) und das Speiseeis, das Gelato, das wir alle kennen. Gelato ein weiches Wort für eine weiche Speise im Gegensatz zur Härte des Eises... .
ghiaccio und gelato

Gelato, das hieß für mich Sommer, Wärme, blau, hell und die Aufregung, in Italien an den Strand zu fahren und nicht spätestens um acht Uhr ins Bett gehen zu müssen. Ja, es hieß ITALIA, Sonne, blaues Meer, Musik, Krach, viele Kinder....Freiheit!
Eismann in Holland

Jedes Jahr im Frühling kamen die italienischen Eismacher wieder und öffneten ihre Eisdielen, da wo im Winter ein Teppichladen oder irgendetwas anderes Langweiliges war. Sie kamen wie die Sommervögel und kündigten eine bessere Zeit an.
Und das Tollste war, dass man in der Eisdiele schon mit einem Teil vom Taschengeld - immerhin bekam ich damals 5 Mark pro Woche - auch öfter als einmal ein kleines Hörnchen essen konnte, Erdbeere, Schokolade, Nuss, Vanille....2 Kugeln, das konnte man sich leisten.
Und dann war da die Vorfreude auf die Fahrt runter ans Meer wo man sich selbst das Eis auf italienisch holen konnte:"Un gelato per favore da 100 Lire, fragola e limone...".
"Un gelato per favore da 100 lire..."

Was hatte also das geliebte Gelato mit dem ewigen Eis in den Dolomiten zu tun, wo es doch kalt und ungemütlich ist? Darüber habe ich erst nachgedacht, nachdem ich meine Freunde im Cadore Tal kennengelernt habe und langsam verstand, warum meine so geliebten Eisdielen fast alle den Namen Venedig oder Venezia, Belluno, Dolomiti hatten.
Aber wie kommt man in den Dolomiten auf die Idee, Eis zu machen und ganz Europa damit zu erobern? Warum gerade hier? Wirklich eine ausgesprochen interessante Unternehmergeschichte...
Für mich wurde diese Geschichte eine Art fixe Idee. Schon immer beschäftige ich mich mit Unternehmensberatung in besonders schwierigen Gegenden und die Dolomitenlandschaft gehört sicherlich dazu. Wie kann man in den Bergen eigentlich leben? Wie viel mehr Fantasie braucht man, um sich das tägliche Geld zu verdienen?
Im Cadore habe ich gelernt, dass sich die Eismacher entwickelten, als die Holz-und Nagelindustrie zu Ende war...Aber wie kommt man da auf Eis?
Paola Brolati und Charly Gamba erzählen die Geschichte der Eimacher

Auf meinen zahlreichen Entdeckungsfahrten auch im Internet habe ich endlich UNITEIS gefunden, viele Informationen und auch die Geschichte der mutigen und fantasievollen Kleinunternehmer. Dort kann man nachlesen, dass
die Geschichte des Speiseeises in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Italien beginnt, genauer in den Dolomiten. Die Händler von gekochten Birnen und Maronen im dortigen Cadore-Tal fanden keine Arbeit mehr und verließen die Region. Wahrscheinlich blieb einer von ihnen jedoch über den Sommer in der Ebene, um das Handwerk des Eiskonditors zu erlernen. Wie die alten Leute vor Ort erzählten, erlernten die Pioniere ihre Fertigkeiten bei einem Sizilianer, dessen Name jedoch nicht überliefert ist. Mit ihren neuen Kenntnissen versehen, wanderten die ersten Wagemutigen nach Österreich-Ungarn aus. Später folgten dorthin auch andere Venezier und erlernten das Gelatiere-Handwerk.

1865 erhielt Tomea Antonio BARETA von den Wiener Behörden die Genehmigung, einen Eiswagen an einem festen Punkt im Wiener Prater aufzustellen. 1874 wechselte er nach Leipzig, wo er 1890 bereits 24 Eiswagen überall in der Stadt besaß. Sein Sohn Bortolo war zu dieser Zeit nach Budapest gegangen, wo er Anfang des Jahrhunderts 12 Eisdielen und 60 Eiswagen besaß. Die Geschichte der beiden blieb kein Einzelfall.

Der Übergang vom Eiswagen zur Eisdiele verdankt sich im übrigen der protektionistischen Politik der Österreicher: um ihre eigenen Süßwarenhändler zu schützen, verweigerten sie den Cadore-Italienern den Gewerbeschein für ambulanten Handel. Die Gelatieri waren so gezwungen, Geschäftslokale anzumieten, die sie mit Bänken und Petroleumlampen ausstatteten: die Eisdiele war geboren.

Von Wien als Ausgangspunkt schwärmten die Eismacher nach 1880 über Zentral- und Mitteleuropa aus. Sie folgten den neu angelegten Eisenbahnlinien und siedelten sich an. Darmstadt, Hannover, Köln, Brunn, Belgrad oder Sarajevo sind einige der Städte, in deren Archiven sich italienische Eisverkäufer finden. Einige scheuten auch den langen Weg bis in das damalige Ostpreußen nicht. Sogar bis Stockholm ging die Reise, wo die Existenz des Eissalons Ciprian überliefert ist. Die Idee war klug. Denn heute weiß man: je kälter das Klima, desto höher ist der Eisverzehr. Nachweislich ist der Pro-Kopf-Verbrauch in Skandinavien am größten.

Der erste Weltkrieg brachte viele der Gelatieri um ihr Vermögen, doch sie gaben nicht auf. 1925 begann in ganz Europa der massive Wiederaufbau ihrer Eisdielen. In dieser Zeit entstand in Wien der erste Verband der italienischen Speiseeishersteller mit dem Ziel, ihre Interessen und Produkte zu schützen. In Polen lag die Blütezeit des italienischen Eisgewerbes in den Dreißiger Jahren. Damals muß es Hunderte von Eissalons gegeben haben. Dasselbe gilt neben Leipzig auch für Dresden und weitere Städte in Bayern. Zwischen den Weltkriegen wurde auch das Ruhrgebiet für die Italiener populär. Der zweite Weltkrieg bedeutete einen weiteren Rückschlag, doch heute ist besonders die Gegend um Ruhr und Rhein dicht mit Eismachern besiedelt.

Schon früh entdeckten die Eisverkäufer das Geheimnis der Kühlung. Lange vor der Zeit elektrischer Kühlsysteme wurde das Eis in speziellen Trögen zubereitet, mit Stangeneis und Salz gekühlt und in Holzfässer umgefüllt, in denen es sich, von Säcken umhüllt und isoliert, bis zum Abend in fester Form hielt. Erst in den 60er Jahren wurde diese Salzlaugentechnik von immer großzügigeren Ladentheken abgelöst. Laborgeräte und Pasteurisierer, Kessel und Reifungsbottiche helfen heute mit modernster Technologie, den Arbeitsaufwand der Gelatieri zu verringern.
"

Paola Brolati und Charly Gamba bringen das Eis auf die Bühne

Naja, also wurde das Eis benutzt, um Eis herzustellen. Jetzt ist es klar!
Bei meiner weiteren Recherche fand auch viele Artikel und Berichte in der deutschen Presse, voller Bewunderung und Respekt für diese eingewanderten innovativen Handwerker und Geschäftsleute:

Und auch ich, seitdem ich diese Geschichte entdeckt habe, bewundere die Menschen hier in den Dolomiten noch mehr.

Es ist unglaublich, wie wichtig ihre kleinen wirtschaftlichen Aktivitäten für meine Jugend waren. Das Eis war nicht nur lecker und die Eisdielen waren nicht nur einfache, helle und beliebte Treffpunkte, wo sich Jugendliche aufhalten und willkommen fühlen konnten. Das Gelato war und ist heute noch ein Kulturvektor. Es hat langsam aber beständig unsere tiefe Liebe, Begeisterung und Bewunderung für Italien und die Italiener genährt.
Als ich zum ersten Mal einer deutschen Reiseveranstalterin eine Reise ins Cadore vorschlug meinte sie „Niemand kenne das Cadore, es wird schwierig werden, die Reise zu verkaufen“.
Es ist nicht leicht, das stimmt, aber vielleicht könnte es leicht sein, wenn man die Geschichten, die Erfahrungen und das Wissen von den deutschen Leidenschaften für das Eis und die Eismacher in das Destinationsmanagement der Reiseveranstalter einbeziehen würde: Überall gibt es Menschen, die noch heute die Eisdielen lieben und vielleicht gerne einmal die Heimat dieser genialen Handwerker besuchen würden, um direkt von ihnen ihre Geschichten zu erfahren.
Es könnte so einfach und direkt sein, Welten zu verbinden, wenn man nur von den Erfahrungen und Erzählungen der Menschen ausgehen würde, die weit gereist sind, um sich woanders eine Existenz aufzubauen!
Auf der Schnellstraße 51 di Alemagna von Valle di Cadore nach Belluno kommt man gleich nach einem Tunnel an der kleinen Gemeinde Ospitale di Cadore vorbei. Bei einem flüchtigen Blick auf das Ausfahrtsschild Ospitale habe ich zuerst vermutet, dass hier eben das Krankenhaus der Region zu finden sei. Wie es der Zufall will, hat mich die Gemeinde von Ospitale diesen Sommer eingeladen, mit ein paar Jugendlichen einen Filmworkshop zu veranstalten und so habe ich spannende Geschichten über den Ort und seine 350 Bewohner und Bewohnerinnen erfahren.

Im ehemaligen Rathaus, in der heute die Dorfbibliothek untergebracht ist, erwarten mich etwa dreizehn Jugendliche zwischen dreizehn und dreiundzwanzig Jahren. Sie möchten mehr über das Filmemachen erfahren und wir gehen alle Einstellungsmöglichkeiten und Perspektiven durch, bevor wir uns dem eigentlichen Geschichtenerzählen zuwenden.
Froschperspektive grüßt Vogelperspektive
Schnell wird den den Jugendlichen klar, an wie vielen Stellschrauben sie drehen können, um ihre Geschichten zu erzählen und es nicht nur darum geht, mit dem Smartphone einige zufällige Aufnahmen zu machen. Vor dem Filmemachen geht es in erster Linie darum, die Sprache des Films und ihre Grammatik zu verstehen.
Die technische und die "poetische" Seite der Filmsprache

Mit dem ersten Handwerkszeug ausgestattet, geht es weiter zum eigentlichen Geschichtenerzählen. Was ist eine Geschichte? Gibt es Geschichten in einem Dorf, das zwar an einer Schnellstraße liegt, aber sonst eher abgeschnitten von der Welt gelegen ist? Was ist der Kern der Geschichte? Warum möchte ich sie erzählen und was erzählt die Geschichte über mich? Wenn man heute nach Ospitale kommt, sieht man wie in so vielen Dörfern kaum Menschen auf der Straße. Besonders für Jugendliche ist es schwer, sich mit so einem Ort zu identifizieren. Es scheint, als ob die wenigen Bewohner ihr Leben nicht miteinander, sondern nebeneinander verbringen.
Wer bewohnt diese malerische Landschaft?

Iolanda Da Deppo, die im Cadore viele Projekte zum Thema Gemeinschaftsentwicklung iniziert hat, möchte mit diesem Projekt den Blick der Jugendlichen wieder auf ihre aktuelle Lebenswelt lenken, sich in den Dialog mit ihren Mitbewohnern zu begeben, zu erzählen, welche Orte für sie wichtig sind. Letztes Jahr haben die Jugendlichen in einem Audioprojekt ein Inventar über die Geräusche erstellt, die in ihrer Lebenswelt vorkommen. Es ging darum herauszufinden, was es bedeutet, mit diesen Geräuschen Tag ein Tag aus zu leben. So gibt es das Plätschern und Rauschen des Piaves, der entlang des Dorfes fließt, die Schnellstraße oder die Eisenbahn. Aber auch das ständige Summen einer Fabrik, in der Biomasse in Strom umgewandelt wird.
Zwischen Summen und Rauschen

Mit diesem Filmprojekt sollen aber vor allem die Geschichten der Bewohner des Ortes gesammelt werden, um sie später für weitere Auseinandersetzungen zum Thema Gemeinwesenentwicklung in einem Museum sichtbar zu machen.
Ospitale - eine Gemeinde und ihre Begegnungen

Früher war Ospitale ein Ort der Gastlichkeit, weil dort die Flöße anhielten, die den Piave runter bis Venedig fuhren. Der Name Ospitale kommt also nicht von ungefähr. Ständig kamen neue Reisende an, um dort eine Nacht auf ihrer anstrengenden Reise zu verbringen. Auf dem Computer des Vizebürgermeisters haben wir während unseres Projektes alte Filmaufnahmen aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts gefunden. Der zweite Weltkrieg war kaum vorbei und das Dorf war voller Menschen. Es ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr, dass sich junge Menschen mit diesen Geschichten auseinandersetzen oder einfach nur ins Gespräch mit den damaligen Zeitzeugen kommen.
Begegnungen

Nach zweit Tagen ist der Workshop vorbei, ich bin jetzt schon gespannt, was die Jugendlichen daraus machen werden. Welche Geschichten sie uns über sich und ihr Dorf erzählen werden. Ich wünschen ihnen auf jeden Fall viel Erfolg und dass das Projekt Schule machen wird, um gegen das Verschwinden der Bewohner einer medial globalisierten Welt vorzugehen.
Powered by Blogger.